Wimpern-Aahnja

“Schwarzblau Wimpern viele finden gut wegen Glitzern aber für mich einfach schwarz natürlicher.“ Als Aahnja, geschrieben wie gesprochen, mich fragt, welche Farbe ich für meine Wimpernfärbung wolle, denke ich noch, wir sprächen über Braun-Nuancen, Asche-Töne oder Karbonschwarz. Betont gleichgültig überlasse ich ihr die Entscheidung. Jetzt kleben zwei Papierstreifen unter meiner unteren Wimpernreihe und ein Wattestäbchen schmiert meine Augen mit Farbe zu, die auch hellblau oder pink hätte sein können. Schweiß rinnt meine Handflächen hinunter. Ich habe klare Anweisungen bekommen: “Augä zu!“ “Nicht zwinkern!“ “Auch nicht zucken!“ Nichts leichter als das, wenn ätzende Flüssigkeit  über deinem empfindlichsten Sinnesorgan verteilt wird.

Beim Einpinseln stößt Aahnja immer wieder gegen meinen Dutt, piekt mit dem Zeigefinger meine Wangenknochen an und schiebt meinen Kopf grob von links nach rechts. In der Salon-Broschüre stand etwas von “Es kommt uns darauf an, den Kunden vollkommen zu verwöhnen.“ Als das beschlossen wurde, war Aahnja wahrscheinlich gerade Gewichte heben. “Zehn Minute ich komme wieder. Augä schön zu!“ Augä hat sowieso Angst vor ihr.

Neben die beständige Angst zu erblinden, gesellt sich nach fünf Minuten die Befürchtung, mit dem wackeligen Friseurstuhl umzukippen. Später wird mir leicht schwindelig weil durch die waagerechte Lage zu viel Blut in meinen Kopf fließt. Unterbrochen vom Pusten eines Föns, dröhnt “Du bist Hammer“ von Culcha Candela durch die Anlageboxen. Die hohen Metall-Absätze ihrer Kollegin begleiten den Takt mit rhythmischem Klackern.

Ob meine Tasche noch da ist? Mit geschlossenen Augen versuche ich sie auf der Armatur zu ertasten und finde den Riemen. Prinzipiell stimmt wohl der Grundsatz, dass Ärzte und Friseure reine Vertrauenssache sind. Die 20-Jährige im Stuhl neben mir, mit den aufgemalten Augenbrauen und den uringelben, verlängerten Zotteln auf dem Kopf, hätte mein Grund sein sollen, mich höfflich zu verabschieden und dann kreischend wegzurennen. Doch jetzt liege ich eben hier.

Als aus zehn schon 20 Minuten geworden sind, nähert sich Aahnja. Ich kann sie am Schritt erkennen – die Gummisohle ihrer Turnschuhe quietscht auf dem Fliesenboden. “3 Minute extra für extraschön.“ Aha, denke ich. Noch im Vollbesitz meines Augenlichts, habe ich beobachtet, wie Aahnja ihre gescheitelten, rot gefärbten Haare borstenartig zu einem Zopf gebunden hat und ihr Kunstwerk mit einer halben Dose Haarspray fixierte. Anschließend schweift ihr strenger Kontrollblick über das Spiegelbild ihrer gedrungenen Figur. Ich traue “extraschön“ kein bisschen.

“There’s ay fire burning in my heart…“, singt Adele in voller Lautstärke. 30 Minuten verstreichen wie eine gefühlte Stunde und meine Augen fangen an zu brennen. Zukneifen und zusammenreißen. Ich höre, wie der alte Mann, der zeitgleich mit mir an der Reihe war, von Aahnja fertig geschnitten wird und sich höflich verabschiedet. Er ist also der Grund meiner “extraschönen“ Wimpernbehandlung. Dann rammelt sie wieder gegen meine Frisur. “Jetzt fertig aber Augä zu.“ Die gehen sowieso nie wieder auf. Dann packt sie das ganze Gewicht ihres stämmigen, kleinen Körpers in das Wattepad unter ihrem Zeigefinger und drückt auf meinen Augäpfeln rum, als wären sie Bläschenfolie. Ich überlege ob ich ihr einen Karrierewechsel in die russische Kugelstoßerbranche nahelegen soll. Zu früh! Noch hat sie mich in ihrer Gewalt und kann mich mit schwarzen Panda-Augen den Salon verlassen lassen. “Jetzt Augä ausruhen.“ Augä brennt und möchte ihr am liebsten wehtun.

Fünf Euro, einen zerzausten Dutt und einige angeknackste Nerven später, ist das optische Resultat ernüchternd. Mit etwas trüber Sicht schaffe ich es doch nach Hause. Ich schwöre mir, nie wieder einen Billig-Friseur in Bahnhofsnähe zu besuchen und empfindliche Körperstellen unter keinen Umständen wieder in die Hand von notorischen Grobmotorikern zu legen. Dann fliegt der alte Mascara in den Müll, ein Gutes hatte der Tag nämlich trotz allem – weniger Plastik.

Ein Kommentar zu “Wimpern-Aahnja

  1. Großartig!

    Hab Tränen gelacht und mal wieder für meine Mitbewohnerin in glucksendes Englisch übersetzt. -Die muss sich jetzt nämlich deine Texte immer durch meine abendlichen Audio-Einlagen zu Gemüte führen.

    Bitte mehr 🙂

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