Der Entschluss

(Vorbemerkung: Diese Geschichte liegt mir sehr am Herzen. Nicht nur weil sie für einen besonderen Menschen entstand, sondern auch, weil sie viele Gedanken enthält, die mich während meiner Patientenbegegnungen als Aushilfe in der Psychiatrie beschäftigten. Sie soll ein erster Versuch sein etwas Längeres zu verfassen.

Wem die passende, stimmungsvolle Musik dazu fehlt, dem sei Ólafur Arnalds empfohlen.

Ihr lagen folgende Begriffe zugrunde: tief sinken, Offenbarung und Käse.)

‚Manchmal sind die Karten schon gelegt, bevor du überhaupt einen Blick in dein Blatt werfen kannst‘, dachte Marie und starrte von ihrem Bett aus an die Decke. Je stärker sie sich darauf konzentrierte, desto heftiger kam ihr das Flimmern der Staubpartikel im Licht zwischen ihr und dem weißen Anstrich vor. Als wäre der Raum mit einer tatsächlich fühlbaren Masse gefüllt, die ihn ausstopfte wie ein Stofftier. Sie war kurz davor schlechter Luft zu bekommen, wie so oft, wenn ihr dieser Gedanke kam. Also klingelte sie rasch nach der Nachtschwester. Zu dieser Uhrzeit fiel ihr einfach alles schwerer: das Schlafen, das Entspannen, sogar das Atmen. Einzig das Träumen verschaffte ihr, im Dunkel ihrer Gedanken, Erleichterung. Erst knipste sie ungeschickt die Lampe auf ihrem Beistelltisch an und versuchte dann mit ihren Zehen die hochgerutschte Decke etwas tiefer zu ziehen.

Eine Stimme drang durch den breiter werdenden Türspalt:

‚Frau Lambert, Sie sind nicht meine einzige Patientin. Zum dritten Mal heute Nacht. Es ist vier Uhr früh, was gibt es denn jetzt noch?‘, bemerkte die Nachtschwester in einem rauen aber nicht ganz und gar unfreundlichen Tonfall.

Die Schwester trug kein Namensschild – das machte Marie immer misstrauisch. Deshalb schwieg sie, verzichtete auf die Tropfen, die ihr das Einschlafen erleichtern würden, und drehte sich zur Wand hin. Die Krankenschwester schnaufte deutlich ermüdet, strich ihr ratlos und in einer bemühten Geste übers Haar und verließ kurz drauf das Zimmer.

Das Flimmern war jetzt zurück. Marie presste die Augen fest zusammen und versuchte ihre aufkommende Angst zu unterdrücken. Es half nichts. Heute Nacht würde sie keinen Schlaf finden. Sie würde um fünf Uhr als eine der ersten Patienten ins Bad gehen und sich im Morgenmantel viel zu früh in den Frühstücksraum setzen. Wenn sie Glück hatte, wäre die Küchenfrau für einen kurzen Plausch zu haben.

‚Diese Nachtschichten müssen aufhören, ich werde ja nicht jünger…‘, dachte Schwester Petra und rechnete im Kopf die wenigen fehlenden Jahre bis zu ihrer Frührente zusammen. Ein letzter Blick fiel auf die unruhige Patientin, dann ging sie von Zimmer 7 den Korridor Richtung Schwesternzimmer zurück. Sie setzte sich auf den knarrenden Drehstuhl, schrieb Patientenakten und trug Medikamentendosierungen in die Kurven ein. Im Hinterzimmer stellte ein anderer Pfleger die Morgentabletten, räusperte sich und verabschiedete sich für einen Moment in den Raucherraum.

‚Warum hier immer alle rauchen müssen?‘, grübelte Petra – ‚Dieser Ort ist doch schon elendig genug, auch ohne den Dunst.‘ In Gedanken versunken schüttelte sie den Kopf darüber.

Fragte sie jemand, ob sie ihren Job gerne machte, musste sie immer kurz innehalten. Beim Überlegen schob sie ihre rahmenlose Brille den Nasenrücken auf und ab und entgegnete stets mit demselben Satz: ‚Ich betrachte es als meine Pflicht den Menschen zu helfen.‘ Dann lächelte sie und verließ meist unter einem Vorwand den Raum. Es war eine Frage, die sie nicht imstande war zu beantworten. Es gab Patienten, die sie ehrlich mochte und es gab die, die sie aufgegeben hatte. Manchmal kam es ihr so vor, als würden alle armen Seelen der Stadt von ihr Erlösung verlangen – Ein Anspruch, dem sie natürlich nicht gerecht werden konnte.

Bei der langsamen Drehung aus dem Bett heraus, hörte Marie zwei Druckknöpfe ihres Krankenhauskittels auf Brusthöhe aufspringen – Doch es war ihr nicht mehr wichtig wie sie aussah. Ihr Erscheinungsbild war ihrem genauen Alter um Jahre voraus. Im Angesicht mit ihrem morgendlichen Spiegelbild regte sich keine Empfindung in ihr. Die struppigen grauen Haare, das Weiß ihrer Augäpfel von roten Äderchen durchpeitscht und die tiefen Falten um ihre Mundwinkel: Sie hatte den Eindruck auf eine leere Hülle ihrer selbst zu blicken, ohne eine Vorstellung davon, was es brauchte um sie je wieder auszufüllen.

Mit 35 Jahren hatte Marie das Gefühl, sie hatte es verlernt, zu verstehen. Oft fragte sie sich, wieso ausgerechnet sie chronisch krank war und warum sie die Dinge, die in ihrem Kopf stattfanden, anderen einfach nicht verständlich machen konnte. Dabei war es so simpel: Alles was sie tun musste, war morgens und abends ihr Medikament zu schlucken. Mehr brauchte es nicht, um nie wieder an diesen Ort hinter Mauern, den sie schon so oft verlassen hatte, zurückzukehren. Mehr nicht.

Sie wusste nicht, wie lang ihr Blick auf dem Glas des Spiegels haften geblieben war, wandte sich von ihrer Reflexion ab und beschloss zu duschen. Eigentlich nur, weil sie die Schwester im Nachtdienst regelmäßig auf ihre fettigen Haare ansprach und sie heute einfach in Ruhe gelassen werden wollte. Wozu sollte sie auch duschen, dachte Marie, wenn es niemanden in ihrer Nähe gab, der ihre Gegenwart ertrug. Jemand, der sie hier besuchen würde, wenn die Dinge wieder schlecht liefen.

Eine Stimme und ein dumpfes Klopfen am Glas der Scheibe des Schwesternzimmers hoben ihren Blick von den Akten.

‚Schwester Petra?‘

‚Es ist erst fünf Uhr morgens Herr Korn. Legen Sie sich noch einmal hin.‘

‚Ich kann nicht‘, sagte er und hatte den Rest des Satzes auch schon wieder vergessen.

‚Frühstück gibt es erst ab sechs Uhr.‘

Herr Korn führte seinen Mittel- und Zeigefinger wie in Zeitlupe V-förmig an die Lippen und tat so, als würde er rauchen. Petra begriff, händigte ihm sein Drehzeug aus dem Fach mit den persönlichen Sachen aus und war froh über die erneut eingekehrte Ruhe. ‚Was ist denn heute nur los?‘, murmelte sie vor sich hin.

Fast vierzig Jahre lang war ihre Person Teil des Alltags in der Psychiatrie – und die Psychiatrie Teil ihres Lebens. In einer Welt, in der die Menschen vergaßen auf sich achtzugeben, versuchte sie sich fast immer akkurat zu schminken. Es hatte etwas Skurriles, wie sie den glitzernden Lidschatten und roten Lippenstift zu ihrem blauen Schwesternkittel trug – und die Patienten nebenbei mit klaren Worten unter die Duschen kommandierte. Sie genoss es, dass ihr hier als Dienstälteste die Kontrolle oblag. Ihr farbenfrohes Makeup hatte für sie immer etwas Hoffnungsvolles gehabt – es war ihr Mittel andere zu erfreuen.

Nur nachts, wenn alle schliefen, kam sie normalerweise ungeschminkt. Die blondierten Haare mit einer Spange über den Scheitel geklappt, doch die Fingernägel stets so bunt lackiert, dass sie selbst von den vielen Goldringen an ihren Fingern ablenkten.

Sie dimmte das Licht und betrachtete auf dem eingeschlafenen Bildschirm des Computers ihre vage Reflexion. Da sie sich unbeobachtet fühlte, tastete sie mit der Fingerkuppe an ihrem rechten Auge entlang und legte versehentlich unter der dicken Make-up-Schicht einen blau-violetten Farbton frei. Sie zuckte vor Schmerz und beschloss neuen Puder aufzulegen.

Nach der Dusche huschte Marie im Morgenmantel in den Speisesaal. Ihr Bett ließ sie ungemacht zurück. Die Schwestern hatten dort über Nacht das Fenster aufgelassen. Sie fröstelte und zog den Gürtel um ihre Taille enger. Marie saß am liebsten in der hintersten Ecke mit Blick auf das Geschehen. Sie nahm dort Platz und ihre vom Rauchen vergilbten Fingerspitzen spielten unruhig mit einer Serviette.

Sie hatte schon oft über den Tod nachgedacht. Er war ihr heimlicher, unsichtbarer Begleiter. Wie ein Liebhaber, nach dem sie sich sehnte, doch ohne die Courage aufzubringen, ihm gegenüberzutreten. Also schluckte sie die geringste Menge an Tabletten, von denen ihr Mund schäumen würde und sie schnell ihr Bewusstsein verlöre. Kurz davor wählte sie die 112, meldete ihr Vorhaben und ließ die Wohnungstür einen Spalt auf. Vom letzten Mal hatte sie immer noch offene Rechnungen beim Schlüsseldienst Wutzke. Marie wusste, dass Feuerwehrmänner nicht nur für schöne Frauen aus Filmen die Türen eintraten, sondern auch für jemanden der krampfte und Schaum vor dem Mund hatte, wie sie selbst. Als sie in der Klinik aufwachte, war ihr Magen bereits ausgepumpt, ihre Hände lagen in Schlingen, die am Bettgestell befestigt waren, und die Medizin hatte sie sehr müde gemacht.

Das war vier Wochen her. Es ging ihr nicht besser. Schlechter aber auch nicht.

‚Sind wir hier auf dem Jahrmarkt? Wieso sind denn heute alle so früh wach?‘, fragte Petra in Richtung des Pflegers, als sie einen anderen Patienten schlurfend und wankend in Richtung des Speisesaals gehen sah. Der Pfleger reagierte nicht, wippte stattdessen rhythmisch mit dem Kopf zu den Beats, die aus seinen Kopfhörern klangen.

Seine gleichgültige Antwort erinnerte sie plötzlich an ihr eigenes Zuhause. In Petra Siewerts Beziehung regierte das Desinteresse. Passioniert wurde es nur, wenn ihrem Mann die Hand ausrutschte. Das war über die Jahre zwar nicht monatlich passiert, aber häufig genug, um ihr Arsenal an Schminktricks und Alltagsausreden auf einen beeindruckenden Stand zu bringen.

Sie hatte sich in diese Rolle gefügt. Die Frau, deren barschem Tonfall selten ein Patient zu widersprechen wagte, hatte ihre burschikose Art Zuhause aus der Hand gegeben. Es war einfach so passiert. Vor langer Zeit. Manchmal fragte sie sich, zu welchem Zeitpunkt sie in ihrem Leben zu straucheln angefangen hatte? Dabei wusste sie eigentlich, dass ihr Problem nie die falschen Entscheidungen gewesen waren, sondern nur die, die sie nie getroffen hatte.

Schwester Petra öffnete den Deckel ihres Jogurts und las beim Löffeln in den Akten. Sie hatte schon immer gerne Krimis gelesen, war seit Jahr und Tag ‚Tatort‘-Fan und genoss alles, das ein Spannungsmoment enthielt. Vielleicht wollte sie auch deshalb nie als gewöhnliche Krankenschwester arbeiten. ‚Marie Lambert‘ stand auf dem Aktendeckel. ‚Geburtsdatum: 3.9.1978‘ – sie stockte, verglich das Datum mit dem ihres Tischkalenders und begriff, dass Marie Lambert heute Geburtstag hatte. Für einen Moment überlegte sie, zurück auf Zimmer 7 zu gehen um sich zu entschuldigen, doch ihre schmerzenden Füße hielten sie letztlich davon ab. Die Augen der Krankenschwester überflogen die wichtigsten Details der Seiten: ‚Chronische Depression, ausgelöst durch frühkindliche Vergewaltigung durch nahestehenden Verwandten… Nach Selbstauskunft wird das abgebrochene Ingenieursstudium als lebenslanges Scheitern empfunden… Keine Notfallkontakte vorhanden… Suizidversuch durch geringe Tablettenüberdosis (allerdings abgestritten)…‘.

Es kam ihr so vor, als teilten viele ihrer Patienten, die über die Jahre in der Einrichtung verweilt hatten, zu großem Teil Marie Lamberts Biografie. Weil ihnen so viel Schlechtes in jungen Jahren widerfahren war, betrachtete Schwester Petra die meisten von ihnen als ‚Kinder‘ – sie waren verängstig, brauchten Zuwendung und wussten nicht mehr weiter. Was sie an der Nachtschicht über all die Jahre lieben gelernt hatte, war das Gefühl, dass die gequälten Seelen in den Stunden zwischen 23 Uhr und 6 Uhr früh Ruhe und Entspannung fanden.

Bei ihren Rundgängen schnarchten besonders die Männer so laut und inbrünstig im Takt, dass es fast etwas Hypnotisches und Ermüdendes hatte, ihnen dabei zuzuhören. Die Frauen fand Schwester Petra in den absurdesten Schlafpositionen vor: beide Beine aus dem Bett hängend, in Schneeengel-Pose oder gekrümmt wie ein Igeljunges. Der ein oder andere Schlafanzug auf halb acht gerutscht.

Eines hatten alle gemein: die Stirnfalten, die vor wenigen Momenten Spiegel der Inneren Anspannung waren, lagen geglättet oberhalb der Brauen. Die Wimpernkränze, unter denen sich sonst eine dünne Salzschicht befand, ruhten übereinander und zuckten ab und an. Im Schlaf hatte der Selbsterhaltungstrieb des Körpers die Wirren der Gedanken eingefroren und den Patienten Erlösung auf Zeit verschafft.

Die Küchenfrau schob den Wagen mit Aufschnitt und Käse in den Speisesaal. Marie stand auf, schenkte sich mit zittriger Hand eine Tasse Kaffee ein und legte sich 9 Scheiben Gouda-Käse auf den Teller. Etwas anderes wollte sie nicht. Der einzige Vorteil, den das frühe Aufstehen hatte, war, dass das Essen noch frisch und unberührt war. Ihre Mitpatienten ekelten sie an: Herr Feucht, zum Beispiel hatte immer Dreck unter den Nägeln, Frau Geduldt hing häufig ein Spuckefaden aus dem Mundwinkel, den sie erst bemerken würde, wenn er sich bereits auf den Aufschnitt abgeseilt hatte und Herr Kugellitzsch aß mit seinem verklebten Mund die zehnfache Menge eines Erwachsenen und spuckte noch dazu beim Reden. Einzeln aufgerollt ließ Marie langsam die Käsescheiben in ihrem Mund verschwinden und spülte sie mit Kaffee runter. Sie hasste Kaffee – doch ohne ging es heute nicht.

Ein Schlurfen auf dem Gang gewann ihre Aufmerksamkeit. ‚Nicht mal an seinem Geburtstag kann man in Ruhe frühstücken‘, dachte sie empört und knabberte weiter an ihrem Käse. Auch wenn alles andere in ihrer Erinnerung dabei war an Form zu verlieren, Zahlen konnte sie schon immer gut behalten. Es war der 3. September – Und wie jedes Jahr hatte sie jetzt schon genug von diesem Tag.

Marie ließ den Teller stehen, ignorierte das ‚Hallo‘ ihres Mitpatienten und ging zurück in ihr Zimmer. Vor der gesicherten Fensterscheibe blickte sie in den Garten – noch war der Himmel blau und die Luft klar. Also beschloss sie eine Runde spazieren zu gehen. Nicht für Lang, aber Ausgang zurück in ihre Wohnung hatte sie noch nicht. Was blieb ihr also anderes übrig?

Schwester Petra war kurz davor abgelöst zu werden und endlich in ihr frisch bezogenes Bett zu schlüpfen. Sie sehnte sich nach Ruhe. Nur die Übergabe musste sie noch zu Ende bringen. Sie hob ihr Namensschild von der Schreibtischunterlage auf, betrachtete die abgebrochene Nadel und steckte sie in ihre Handtasche. Die anderen Schwestern trudelten nacheinander ein und wirkten noch verschlafen. Als alle eine Tasse Kaffee vor sich hatten, begann Petra damit die Vorkommnisse der Nacht zu erläutern.

Mit einem altmodisch bestickten Pullover und einer braunen Hose schritt Marie an der Kanzel vorbei und signalisierte den Schwestern durch eine Handbewegung, die Tür zu öffnen. Das Klacken der Entsperrung forderte von ihr einen Druck auf die Türklinke, den sie kaum durch zu setzten vermochte. Sie fühlte sich schwach und immer noch müde.

Auf dem Steinweg durch das Grün, lief sie wie auf Schienen, die sie vom Betreten des Rasens abhielten. Nach ihrer gewöhnten Runde durch den Garten, vorbei an der Lavendelrabatte und dem kleinen Goldfischteich, setzte sie sich auf eine Bank und begann zu rauchen. Wenn sie rauchte, war sie beschäftigt. Abgelenkt. Für einen Moment übernahm ihre Motorik das Ruder und der Rest ihres Körpers gab Ruhe. Es war noch früh. Lediglich ein älterer Türke lief über den Pflasterweg. Als er näher kam, fiel Marie auf, dass er nie auf die Rillen im Weg trat. Ein Spiel, das sie als Kind öfter gespielt hatte und das sie glücklich gemacht hatte – bevor sie so traurig wurde. So traurig, dass sie nicht mehr zur Uni ging, es später nicht mehr ins Restaurant zur Arbeit schaffte und dann dem Sozialarbeiter nicht mal mehr die eigene Wohnungstür aufzumachen in der Lage war. Wie tief ich gesunken bin, kreuzte es ihre Gedanken.

‚Sie da! Frau von andere Station. Geben Zigarette?‘

Es war ihr egal. Sie reichte ihm die Schachtel hin und gab ihm ihr Feuerzeug. Dann setzte er sich neben sie.

Jetzt begann er sie zu stören.

‚Sie allein? So früh?‘

Marie hoffte, ihr Schweigen würde ihm die Lust am Gespräch verderben.

‚Nicht gut? Krank? Wir hier doch alle krank.‘ Er lachte als würde es ihm nichts ausmachen.

‚Müde? Ich schlafen zehn Stunden Nacht. Immer. Auch gut, keine Träume mehr.‘

‚Sie träumen nicht mehr?‘, fragte Marie im Flüsterton.

‚Medikament stark. Macht tiefe Schlaf. Ich lieber wach in Leben als in Traum.‘

‚Ich träume gern. Es ist das Einzige, das ich noch gern tue‘, sagte sie immer noch in sich gekehrt.

‚Was du träumst?‘

Obwohl sie es nicht wollte, hatte der Alte sie in ein Gespräch verwickelt, das anfing ihr zu gefallen.

‚Ich kann es nicht genau sagen, ich vergesse in letzter Zeit so viel. Ich weiß nur, dass ich dabei glücklich bin. Wenn doch nur das Aufwachen nicht wäre‘.

Und dann verstummte sie wieder und fragte sich, was sie in 35 Jahren Existenz auf dieser Welt vorzuweisen hatte? Sie lebte allein in einer heruntergekommenen Einzimmerwohnung in Berlin-Charlottenburg. Sie bekam selten Besuch und ihr Briefkasten war voll mit Rechnungen oder Mahnungen. Sie hatte in ihrem ganzen Leben noch nie eine Postkarte bekommen – weder eine verschickt. Ihr Herz zog sich zusammen. Auf einmal fühlte sie sich mutterseelenallein in einer Stadt voller Menschen.

Der Alte bemerkte ihren verdunkelten Gesichtsausdruck und legte ihr eine Hand auf die Schulter.

‚Nicht du traurig sein. Morgen besser‘.

Marie wollte kein Morgen mehr. Sie war müde. Schon so lang.

Obwohl sie nicht religiös war, fragte sie sich manchmal im Stillen, ob Leben, das nie lebendig auf der Welt herumspaziert sondern davor stirbt, eigentlich eine Art Seele oder Wahrnehmung hatte? Dann stellte sie sich vor, wie sie nicht die Eizelle ihrer Mutter gewesen wäre, die das Spermium ihres Vaters befruchtete. Sie wäre lieber die davor oder die danach gewesen. Eine knapp verpasste Chance, ohne ihr Zutun, aus den Händen gerissen. Als diese Eizelle hätte sie einfach absterben können, von allein wäre sie abgestoßen worden und hätte aufgehört zu existieren. Und wenn diese Eizelle eine Seele gehabt hätte, dann wäre sie einfach so, zack zack, in den Himmel gekommen, und, sie wagte es kaum daran zu denken – glücklich und erfüllt geworden.

‚Nicht träumen. Aufwachen!‘, sagte der Alte, immer noch auf der Bank neben ihr. Marie war für einen Moment weggenickt und erschrak über die fremde Stimme in ihrem Ohr.

Dann kam ihr eine Offenbarung: Wenn der Alte bewusst entschieden hatte, nie mehr zu träumen, konnte sie sich auch gegen das Aufwachen entscheiden. Sie hob einen Mundwinkel und blickte dankend in die Richtung des Alten. Der spielte, auf einer billig gemachten Kopie des neuen Nokia Smartphones, irgendein Spiel, bei dem man Bälle gruppieren musste.

Jetzt war Marie wie beschwingt: ‚Darf ich mal kurz was nachlesen?‘, fragt sie ihn höfflich.

‚Klaro!‘ gab er zurück.

Sie surfte durch ein paar Foren und googelte eine Reihe unterschiedlicher Medikamente – in 5 Minuten hatte der Mann sein Telefon zurück. Sie bedankte sich und ging zurück auf die Station. So lebendig hatte Marie sich lange nicht mehr gefühlt.

Schwester Petra hatte gerade die Übergabe beendet. Die anderen warfen noch kurz einen Blick auf ihre Telefone und gingen dann an die Arbeit. Frühstücksbrote mussten geschmiert werden, Patienten gewaschen und Therapien vorbereitet werden. ‚Es ist ein Tag wie jeder andere‘, dachte Petra und schlang schon das geblümte Tuch um ihren Hals, bereit den Nachhauseweg anzutreten. Da klingelte es erneut aus Zimmer 7.

Jetzt musste alles schnell gehen. Marie kritzelte etwas auf ein Stück Papier und steckte es in ihre Schreibtischschublade. Zwei der vier Schwestern waren immer noch damit beschäftigt, die Patienten zum Frühstück zu holen. Eine würde Brote für die Bettlägerigen schmieren und eine saß im Schwesternzimmer. Die galt es abzulenken. Sie drückte die Klingel an ihrem Bett, drei Mal lang und spurtete in das gegenüberliegende Zimmer auf dem Gang. Als die schnellen Schritte der Schwester passierten, öffnete Marie die Tür und rannte ins Schwesternzimmer. Ein Pantoffel blieb in der Hast auf dem Gang liegen.

Da die Türen keine Schlösser hatten, musste sie etwas finden, um sie von innen zu blockieren. Es war ihr Geburtstag und sie hatte ein Recht auf Ungestörtsein. Ein klobiger Aktenschrank auf Rollen bot sich an, verkeilt mit einer feststellbaren Liege.

Als das Bett, das sie aufgesucht hatte, leer war und auf dem Gang schnelle Schritte hallten, flüsterte Petra wie im Schreck gefangen: ‚Die Tür…‘. Übermüdet und im Gedanken schon fast Zuhause hatte sie die Tür zum Schwesternzimmer offen gelassen. Instinktiv zog sie die Alarmschnur an ihrem Pieper und hastete zurück. Mit all ihrer Kraft drückte die fast 60-Jährige gegen die Klinke, doch nichts tat sich. Auf ihre hilflosen Rufe und das Alarmsignal kamen Schwestern und Pfleger von allen Stationen zusammen. Die stärkeren Männer und der Hausmeister versuchten hilflos die verbarrikadierte Tür zu öffnen.

Unter dem Lärm von Rufen und Klopfen ging Marie zielstrebig auf den Medikamentenschrank zu, stellte sich zwischen die Türen, damit sie durch die gläserne Kanzel hindurch nicht gleich zu entdecken war – und suchte. Wonach, das hatte sie vorhin nachgeschlagen: Diazepam-Schlaftabletten. Das Hämmern der Fäuste gegen die Glasscheibe der Kanzel drang nicht mehr zu Marie durch; Sie wusste, sie würde nicht sterben – immerhin war heute ihr Geburtstag.

Schwester Petra stand indessen vor der Kanzelscheibe und sah wie gelähmt dabei zu, wie jemand im Medikamentenschrank wühlte. Dann trat Marie Lambert vor der Schranktür hervor, blickte ihr in die Augen, und schluckte alle Pillen, die aus der weißen Plastikhülse in ihren Rachen kullerten. Petra sah durch die Scheibe, wie die Hand der Frau vom Schrankgriff abrutschte und ihr Körper innerhalb weniger Minuten leblos in sich zusammensackte – ihre eigenen Worte hallten in ihrem Kopf nach: ‚Frau Lambert, Sie sind nicht meine einzige Patientin. Zum dritten Mal heute Nacht‘. Jetzt würde Marie Lambert nie wieder nach ihr klingeln, dachte sie still und von Vorwürfen geplagt.

‚Sind Sie in Ordnung?‘, fragte einer der Feuerwehrmänner Schwester Petra, die auf einem Stuhl saß und mit ihrer Fassungslosigkeit rang. Sie nickte ungläubig.

‚Wir packen dann jetzt wieder ein‘, hörte sie ihn noch sagen, bevor sie langsam aufstand.

Alles hatte nur Minuten gedauert. Vor ihren Augen war alles so abgelaufen, als wäre es nur eine Theateraufführung und sie ein unbeteiligter Zuschauer im Publikum: Die Äxte der Feuerwehrmänner, die sich durch das Holz der Tür schlugen und den Aktenwagen demolierten, der Sanitäter, der zu der krampfenden Frau auf dem Boden rannte und ihre Halsschlagader nach einem Puls absuchte und die Schwestern, die die Wiederbelebungsmaßnahmen einleiteten. Dann war sie ohnmächtig geworden.

Als sie ihre Augen öffnete, schien grelles Licht durch das Fenster. Marie spürte die raue Baumwolle des Krankenhausschlafanzugs auf ihrer nackten Haut und erkannte eine Silhouette im Lichtschein. Ein hübscher Mann in ihrem Alter stand neben ihr und lächelte über das ganze Gesicht – ungläubig sah sie ihm in seine feuchten Augen. Liebevoll strich er ihr das lange, schwarze Haar von der Schulter und küsste sie auf die Stirn: ‚Darf ich ihn auch mal halten?‘, fragte er behutsam.

Marie hatte Probleme ihm zu folgen. Erst jetzt bemerkte sie einen Widerstand auf ihrer Brust – wo früher Angst und Sorgen auf ihr lasteten, lag jetzt ein warmer Säugling. Schutzbedürftig, abhängig und schöner als alles, was sie je gesehen hatte.

‚Einen Moment noch‘, sagte sie und begann den kleinen Menschen auf ihrer Körpermitte zu begutachten – dann zog sie ihn nach oben und drückte ihn an ihr feuchtes Gesicht, bis sie vor Müdigkeit die Augen schloss.

Sie erwachte in einem großen Himmelbett. Nur fühlte sie sich etwas beengt. Fremde, nackte Körper rekelten sich auf ihrem Laken. Maries Äußeres war wieder Mitte zwanzig. Sie lag auf der Seite und genoss das Gefühl eines Mannes, der sich von hinten an sie anschmiegte und sie streichelte. Sie schmeckte den salzigen Schweiß auf ihren Lippen und verlor sich in wohliger Entspannung. Dann spürte sie ein anderes Paar Lippen auf ihrer Brust. Vorsichtig ließ sie ihre Handflächen die dunkle Umgebung ertasten und erschrak, als sie zwei Männerkörper in ihrer direkten Nähe ausmachte. Beide begehrten sie – ein Gefühl das Marie bis dahin fremd gewesen war.

Wieder fiel sie in einen tiefen Schlaf, erwachte und hatte das inständige Bedürfnis das Fenster zu schließen. Die Männer waren fort. Sie stand auf, realisierte erst jetzt, dass sie ein langes Sommerkleid trug und auf dem Gleis eines Bahnhofes auf einen Zug zu warten schien. Als die Lok einfuhr, spielte sie wider ihrer Gewohnheit nicht mit dem Gedanken, sich davorzuwerfen. Sie konnte nicht beantworten, ob sie verreisen wollte oder auf jemanden wartete. Doch in ihr machte sich ein Gefühl von Vorfreude breit, das sie ausfüllte und ihre Mundwinkel spannte.

Plötzlich zog ein Sturm auf. Der Wind war so stark geworden, dass sie die Augen schließen musste. Ihr war, als würde ihr Gesicht von vorbeifliegenden Blättern gestreift. Als der Widerstand vor ihrem Gesicht nachließ, sah sie vor sich einen Stapel Papiere, offizielle Schreiben unter denen ihre Unterschrift stand. Sie saß in einem Büro, auf ihrem Schreibtisch standen Familienporträts und eine gerahmte Kinderzeichnung. Die Menschen, die sie auf den Bildern umarmte, erkannte sie zwar nicht, fühlte sich aber mit ihnen verbunden. Dann betrat ein Mann im Anzug den Raum. Er wirkte verhalten, räusperte sich und brach wie aus dem Nichts in ausgelassenes Gelächter aus. Irritiert sah Marie in seine Richtung. ‚Frau Lambert, wir haben den Auftrag und das verdanken wir ihnen! Das ist doch ein Grund zum Anstoßen! Kommen Sie!‘ Freudestrahlend nahm er ihre Hand und zog sie durch die Tür.

Auf der anderen Seite des Raumes war der Anzugträger verschwunden. Sie hielt eine knöcherige, von Altersflecken übersäte Hand in ihrer. Ihr Blick fuhr über den alten, dürren Arm und blieb auf ihrer eigenen Brust haften. Nicht sie, sondern eine junge Krankenschwester hielt die vom Alter gezeichnete Hand. Marie war plötzlich alt. Sie wurde zu einem Gartenstuhl gebracht und nahm dort Platz. Trotz ihrer gebückten Haltung hatte sie keine Schmerzen. Ihr Kopf war voller lebhafter Erinnerungen an ein ausgefülltes Leben – voller Freude und Trauer und Glückseligkeit. Sie blickte auf den kleinen Garten und ließ vor ihrem inneren Auge die Bilder ihrer Erinnerung passieren. Gebannt verfolgte sie Episode um Episode, die wie in Daumenkino-Zeitraffer aufeinander folgten.

Petra Siewert hatte am Morgen des 3. Septembers in ihrer gefühlten Ohnmacht beschlossen, ihre Arbeit in der Psychiatrie aufzugeben. Es war sie gewesen, die Marie Lamberts in Eile gekritzelte Patientenverfügung in der Nachttischschublade gefunden hatte: ‚Unter allen Umständen alle lebenserhaltenden Maßnahmen aufrechterhalten‘, stand auf dem unterzeichneten Papier.

Sie wollte nicht Tag für Tag an ihr Scheitern, ihre Nachlässigkeit und ihre eigene Fehlbarkeit erinnert werden. Obwohl sie wusste, dass sie nicht die Schuld trug, sondern Marie Lambert und die Ballung der Umstände, ließ sie die Geschichte des Zimmer 7 nie vollends los. Ihre Patientin war in ein Wachkoma gefallen und würde sich davon nicht mehr erholen. Petra Siewert tat, was sie immer tat, wenn es schwierig wurde: Sie blendete alles aus.

Bis zu dem Tag, als ihr Mann starb. Halbherzig und verbittert hatte sie eine Beerdigung für die Verwandten organisiert, auf die sie nicht zu gehen gedachte. Jeder Tag des Zusammenlebens mit ihm hatte ihr Kraft abverlangt, deren Fehlen sie nun selbst um wertvolle Lebensjahre bringen würde.

An einem regnerischen Nachmittag im September besuchte sie Marie Lambert, die schon vor Jahren in ein anderes Krankenhaus am Stadtrand verlegt worden war. Das karge Krankenzimmer enthielt keinen einzigen persönlichen Gegenstand. Der Körper der Komatösen wirkte wie eine von Efeu umschlungene Statue: Schläuche drangen aus Mund und Nase, durch einen Katheter floss Harnflüssigkeit in einen Beutel, der am Bett befestigt worden war. Die Patientin Lambert kam ihr eingefallen vor, ihre Haare waren grauer geworden, sonst wirkte ihr Körper einfach still und ruhend. Sie lauschte für einen Moment der Beatmungsmaschine und betrachtete die Flüssignahrung, die Marie bekam.   

‚Es war wohl das Mutigste, das Marie Lambert je in ihrem Leben getan hatte‘, kreuzte es ihre Gedanken. Und für den Bruchteil einer Sekunde wünschte auch sie sich Maries Entschlossenheit.

Die Idee im Koma zu liegen, hatte für sie trotzdem nicht den Hauch von Romantik. Sie kannte den körperlichen Verfall der Patienten, wusste um das schrittweise Versagen der Organe und Hirnregionen. ‚Es muss ein schmerzvoller Tod sein – gefangen im eigenen Körper, wie in einem Sarg‘, dachte Petra. Und obwohl sie wusste, dass der Tod, das biologische Ende des Organismus war, wehrte sie sich gegen diesen Gedanken. Gegen ihre eigene Endlichkeit. Vielleicht weil sie noch nicht soweit war.

Erst jetzt, nach dem Ableben ihres Mannes, hatte sie das Gefühl frei von den Mauern geworden zu sein, die sie ihr Leben lang in ihre Schranken verwiesen hatten. Vielleicht war ihr Mann auch nur ein Vorwand für ihr eigenes Unvermögen gewesen, sich selbst ein besseres Leben aufzubauen. Doch das alles zählte jetzt nicht mehr. Der Vorwand lag zweieinhalb Meter tief unter der Erde.

In der Nähe der Bettlägerigen überkam sie plötzlich ein Gefühl von Entschlossenheit und Nähe. Sie strich ihr mit der Hand über die Stirn und sah sie lange an.

‚Alles Liebe zum Geburtstag. Schlaf gut, Marie‘, flüsterte sie ihr ins Ohr, strich noch einmal über ihr Haar und ging dann zur Tür hinaus.

 

Ein paar Wochen später brannte neben Marie Lamberts leerem Bett eine kleine Kerze.

Daneben stand eine Postkarte.

 

Der schlafende Berg

Seine Physis gleicht der Topografie eines Gebirges:

Ein Kinn wie ein Felsvorsprung, porig und mit Stoppeln bedeckt.

Entlang der eingefallenen Wangen führt eine tiefe Falte zu den langen Nasenhöhlen, von deren Decke Haare wie Stalaktiten hängen.  Die kantige Nase bildet den steilen Gipfel.

Die Linien auf der Stirn ziehen sich wie übereinander gelagerte Sedimente zu den auf den Wangenknochen aufliegenden Schläfen. Eingebettet in eine Schicht aus schütterem Haar ruhen die kurvigen, langen Ohren, wie zwei stillgelegte Bergwerke, die ins Kopfinnere führen.

Die schmalen Lippen folgen dem seichten Luftstrom, der stoßweise aus dem zahnlosen Schlund entweicht.

Ein leichtes Heben der Brust – einzig der Atem verschafft ihm Bewegung.

Die dünnen Beinchen sind aufgestellt und zeigen spitz nach oben. Er zittert, Demenz und Parkinson lassen seine Glieder beben, wie Erdplatten, die sich übereinander schieben.

Ein Muskelzucken birgt die letzte Erschütterung.

Ausgedünnte Wimpernkränze umschließen die grauen Iriden, die wie Silbermünzen auf den tiefen Augenhöhlen ruhen.

In den Rillen zwischen Handknochen und Sehnen heben sich runde, blaue Adern empor, wie gewaltige Flüsse, die aus den krummen Fingern schließlich in die Falten des weißen Bettlakens zu münden versuchen.

Die dünne Haut an Armen und Beinen hängt und die Haare liegen in Reihe wie Getreidehalme auf einem Kornfeld.

Schulterknochen, Becken, Knie, Knöchel und Halswirbel sind steif und suchen ihren Weg aus dem schwachen Körper, der ihn ans Bett fesselt.

Auf dem Nachttisch steht neben dem Krankenbett ein Bild der Tiroler Berge. Er lächelt übers ganze Gesicht. Jung ist er, das braune Haar sorgsam gescheitelt, die Strümpfe bis unter die Knie gezogen. Seine Hand hält die einer blonden Frau in Lederhosen. Ihre geröteten Wangen bedeuten frische Luft.

Hier, im Krankenzimmer, schiebt sich, durch den schmalen Fensterspalt, klare an ausgeatmeter Luft nur mühsam vorbei.

Helga hat Kirschpralinen mitgebracht. Schokolade, das kennt er noch, und Helga. Beides verbindet er mit dem Glücklichsein.

Sein Körper, der Berg, hält ihn gefangen. 80 Jahre lang war er Antrieb und Mittel, steile Hänge und Geröll zu überwinden. Jetzt härtet ihn die Krankheit aus, wie ein Totenbett für die Seele, eine organische Grabkammer inmitten von Fels.

Oskar hat seine Zeit verlebt. Er erwartet ihn – den Tod, und schläft, um endlich zu entschlafen.

(Anders als die sprachlichen Vergleiche, sind die Beobachtungen dieser Geschichte nicht fiktiv. Die Namen wurden geändert. Ich habe den Text wiedergefunden und fand den Gedanken schön, ihn zu teilen, auch wenn er nicht mit dem 3-Worte-1-Kurzgeschichte-Konzept einhergeht.)